Leseprobe aus der Erzählung 'Fieber'
Seit das Bild an der Wand am Fussende unseres Bettes hing, war es mir zur Gewohnheit geworden, nach dem Erwachen den vier Indianergestalten darauf zuzunicken. Ich fühlte mich ihnen verbunden, ohne einen wirklichen Zusammenhang zwischen ihrem und meinem Leben finden zu können. Judith lachte mich immer aus, wenn ich morgens die ‘Granit-Köpfe’, wie sie die vier nannte, begrüsste.
Nun lag ich also bewegungsunfähig im Bett, fieberte mit zusehends wirren Gedanken und hielt meinen Blick starr auf die Gruppe gerichtet. Mir schien, als hätten ihre Minen plötzlich etwas Spöttisches – Spott über mich und das Unglück, das mich erfasst hatte. Der Rahmen des Bildes begann im Rhythmus meines Herzschlags zu pulsieren, dann plötzlich schien der Inhalt auf mich zuzukommen, oder ich auf ihn, als würde, wie im Film, in eine Szene hineingezoomt. Mein Bett, die Wände des Zimmers wichen zurück, die vier Figuren gewannen an Grösse, ja wurden lebensgross, und unvermittelt stand ich dicht vor ihnen auf dem Marktplatz in Santa Fe, fühlte staubtrockenen Wind auf meiner Haut und die Hitze der Erde unter meinen Füssen. Von Fern erreichten mich die Rhythmen und Klänge von Trommeln, Rasseln und einem monotonen Flötenspiel. Ich suchte um mich herum nach Menschen, Marktstimmung, Häusern, Kakteen, nach irgendetwas Gegenständlichem, fand aber nichts als weissen Raum. Es gab nur die vier Alten mit ihren Decken und Töpfen, die rostrote Hauswand und die skizzierte Landschaft. Der Mann im Vordergrund drehte seinen Kopf zu mir und fixierte mich. Er stellte seinen schwarzen Pott zur Seite, erhob sich langsam, vom Alter beschwert und doch würdevoll, kam auf mich zu und musterte mich von oben bis unten.
«Was führt dich hierher?»
«Ich ..., ich weiss nicht. Ich weiss nicht, wie ich hierhergekommen bin.»
«Das weisst du nicht und bist trotzdem hier?»
Der Spott in seinen Augen war nun unverkennbar, und mein Nichtwissen trieb mich in die Enge. Ich wusste tatsächlich nicht, wie ich nach Santa Fe gekommen war und was ich hier wollte.
«Ich werde es dir sagen. Dein Unglück, das du stets bei dir trägst, hat dich zu uns geführt.»
«Was weisst denn du von meinem Unglück und von meinem Leben?» versuchte ich aufzubegehren, aber er brachte mich mit einer wegwischenden Handbewegung zum Schweigen.
«Vielleicht mehr als du selbst. Ich kann erkennen, wie jemand sein Leben bewertet. Ich sehe das Glück und Unglück in den Menschen.»